Vorwort

Bäume gehören in den Wald?


Aus den einstigen Hauptdarstellern der Natur sind Statisten geworden, denen nichts als eine vom Menschen angedachte Rolle übrig geblieben ist. Flächendeckende Wälder, die sich lediglich dem Klima und anderen Naturgewalten unterordnen mussten, sind in eine völlige Abhängigkeit von uns geraten. Wir bestimmen wo und in welcher Form das Individuum Baum noch einen Platz in "unserem" Lebensraum hat. Oftmals mangelt es uns jedoch an dem Bewusstsein, dass wir als Entscheidungsträger sowohl die Verantwortung für Eingriffe in die Natur, als auch für daraus resultierende Fehlentscheidungen übernehmen müssen.

Die Grundeinstellung zu Bäumen in innerstädtischen Bereichen, besonders in Privatgärten, ist nicht selten durch Ängste und uneingeschränkte Ablehnung geprägt. Im Laufe der letzten Jahre wurde mir bewusst, dass sich überwiegend in Dörfern, kleineren Städten und Gemeinden eine eher geringschätzige Meinung über den Baumbestand innerhalb der Siedlungen verbreitet hat. Erstaunlicherweise habe ich in vielen Großstädten nicht nur eine größere Baumartenvielfalt sondern auch die dimensionsstärksten Exemplare entdeckt. Ein positives Beispiel dafür sind die Städte Krefeld und Bonn, sie stellen ein "Eldorado“ für Dendrologen dar.

Die Ursache für die häufig ablehnende Haltung insbesondere gegenüber Laubbäumen in der Stadt ergibt sich aus verschiedenen Motiven: Herbstlaub, Blüten und Pollen werden als vermeidbarer Schmutz betrachtet, herabfallende Äste und schon alleine die Größe von Bäumen stellen in vielen Augen eine unkalkulierbare Gefahr dar. Wurzeln neigen dazu Bürgersteige und auch Straßendecken anzuheben und Kanalrohre, Wasser- oder noch schlimmer Gasleitungen zu beschädigen.

Die meisten dieser Probleme ließen sich im Vorfeld durch eine sorgsame Planung des Pflanzortes und eine gezielte Baumartenauswahl beheben. Leider bestimmen jedoch vielfach finanzielle Beweggründe in Gemeinden und Städten die räumliche Planung von Neubaugebieten. Bauland ist wertvoll und so wird der zukünftige Baumbestand häufig auf das Straßenbegleitgrün begrenzt. Nicht selten werden Großbaumarten in zu kleine Pflanzbeete gesetzt, die dann nach 30 Jahren aufgrund der inzwischen schon entstandenen Schäden wieder entfernt werden. Als Folge sind in den letzten Jahrzehnten vielerorts strukturlose Gebäudewüsten ohne nennenswerten Baumbestand entstanden. Die sich der Natur immer weiter entfremdende Einstellung vieler privater Gartenbesitzer trägt den Rest zu dieser Entwicklung bei.
Doch nicht nur diese Punkte, sondern auch die durch den Druck der Verkehrssicherungspflicht entstehenden Kosten führen häufig zu fehlender Bereitschaft, den vorhandenen Altbaumbestand zu unterhalten. Eine oftmals nicht sachgerecht durchgeführte Pflege und die daraus resultierenden Schäden führen dazu, dass die Zahl wirklich alter Bäume in den Städten und entlang der Straßen sinkt.

Aber auch außerhalb der besiedelten Gebiete gelingt es nur wenigen Bäumen ein hohes Alter zu erreichen. Ökonomische Beweggründe führen in land- und auch forstwirtschaftlich genutzten Bereichen dazu, dass Bäume und Großgehölze "rechtzeitig" entfernt werden. In den unter Produktionsdruck stehenden landwirtschaftlichen Betrieben hat der größtmögliche Ertrag der Feldfrüchte die höchste Priorität. Bäume konkurrieren in den Feldfluren um Wasser, Nährstoffe und Licht, zudem stellen sie Hindernisse für Maschinen dar.

Auf forstwirtschaftlich genutzten Flächen findet frühzeitig eine Selektion nach genau definierten Kriterien statt. Nur wenige Baumarten haben die Chance ein Alter von 120 Jahren zu erreichen, da im Alter die Qualität und der Massenzuwachs nachlässt. Nur in den aus der wirtschaftlichen Nutzung herausgenommen Waldparzellen unterbleibt eine anthropogene Regulierung. Geschlossene Waldflächen bieten in Deutschland das größte Standort-Potential für Alt-Bäume. Da die Waldbesitzer dort grundsätzlich nicht für waldtypische Gefahren haften, wäre es ein Leichtes, alte Bäume ohne großen Kostenaufwand für Verkehrssicherungsmaßnahmen dauerhaft zu erhalten.
Im Rahmen des § 22 Landschaftsgesetz NRW können Bäume aus wissenschaftlichen, naturgeschichtlichen, landeskundlichen oder erdgeschichtlichen Gründen sowie wegen Ihrer Seltenheit, Eigenart und Schönheit als Naturdenkmal ausgewiesen und so geschützt zu werden. Diese Option hört zunächst sehr vielversprechend an, ich betrachte die Umsetzung jedoch mit gemischten Gefühlen:

Die mit der Ernennung zum Naturdenkmal verbundene Übertragung der Verkehrssicherungspflicht auf die Naturschutzbehörde stellt zunächst eine Entlastung der Grundstückseigentümer dar. Schlussendlich scheitert eine konsequente Erhaltung vieler Bäume an den hohen Unterhaltungskosten. Bei der Entwidmung eines Naturdenkmales stehen leider immer häufiger nicht die Erhaltungswürdigkeit des Baumes, sondern wirtschaftliche Faktoren im Vordergrund.

Auf den ersten Blick lassen sich in Bezug auf Stückzahl, Dimension und Baumartenzusammensetzung deutliche Unterschiede zwischen den Naturdenkmallisten der einzelnen Städte und Kreise feststellen. Viele Kreise insbesondere im ländlichen Bereich beschränken die Auswahl ausschließlich auf heimische Laubbäume. Als heimisch gelten Baumarten, die vor dem Jahr 1472 (Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus) in unseren Breiten angesiedelt waren. Alle nach diesem Stichjahr eingeführten Arten werden als fremdländische Baumarten oder Neophyten bezeichnet und vielfach abwertend betrachtet. Ich empfinde diese Sichtweise als nicht zeitgemäß. Niemand hätte um 1920 nur im Entferntesten daran gedacht, dass 90 Jahre später alle mitteleuropäischen Ulmen-Arten durch das Ulmensterben nahezu ausgerottet sind. Keiner von uns kann sich sicher sein, dass es nicht anderen Baumarten ähnlich ergeht. Es stellt sich nicht die Frage ob, sondern wann die nächste Baumart verschwindet. Klimatische Veränderungen und die damit einhergehend einwandernden Schadinsekten, Pilze und Bakterien stellen eine massive Bedrohung auch für unsere heimischen Bäume dar.
Selbstverständlich stellen invasive Neophyten für unsere heimischen Gehölze eine große Gefahr dar. Es ist zwingend erforderlich, dass die Ausbreitung dieser Arten eingegrenzt und deren Verbreitung verhindert wird. Ich selber hatte im Forstrevier Bönninghardt erhebliche Probleme mit der invasiven Trauben-Kirsche. Die große Artenvielfalt der insgesamt 23 bestandsbildenden Baumarten (davon 12 Neophyten) habe ich jedoch zu schätzen gelernt: Während im Winterorkan „Kyrill“ im Jahr 2007 auf großen Flächen die heimische Wald-Kiefer flächig geworfen wurde, haben die fremdländischen Korsischen Schwarz-Kiefern aufgrund ihrer Standsicherheit die Naturkatastrophe fast unbeschadet überstanden. Den regional begrenzten Sommersturm „Norina“ im Jahr 2010 haben die Nadelbäume insgesamt wesentlich besser als die Laubbäume ausgehalten. Ein weiteres Beispiel ist die große Trockenheits- und Schädlingsresistenz der Edelkastanie, die sich im Gegensatz zu anderen Laubbaumarten auf den nährstoffarmen Böden sehr gut durchsetzen kann. Die heimische Stieleiche dagegen ist durch die in den letzten Jahren ausgeprägten Frühjahrs-Trockenheiten in Verbindung mit massivem Auftreten von baumartspezifischen Pilz- und Insektenschädlingen auf großen Flächen ausgefallen.

Ich denke, dass die große Artenvielfalt zugewanderter Gehölze unsere Flora nicht nur optisch aufwertet sondern auch auf Dauer den Grundbestand an Bäumen erhält.
Es lag mir am Herzen, mit diesem Vorwort einige Punkte kritisch zu beleuchten und damit zum Nachdenken anzuregen. Keineswegs möchte ich jedoch die vielen erfreulichen Erlebnisse, die ich während meiner seit 2012 andauernden Suche nach besonderen Bäumen hatte, unterschlagen. Die überwältigend positive Resonanz der Baumbesitzer, der sich ständig erweiternde Kreis der Unterstützer und die eigene Neugier auf weitere Baumriesen motivieren mich immer wieder aufs Neue.

Bei allen Baumbesitzern, die mir ihre Privatgärten öffneten, den Baum-Freunden, die mich bei meinem Projekt unterstützen und meinen Lieben, die mich auf den zahllosen Touren begleiten, möchte ich mich hiermit ganz herzlich bedanken. Sie gaben mir die Erkenntnis, dass es die Mühe wert ist, unser Umfeld für starke Bäume zu sensibilisieren. Auch wenn Diese uns zusätzliche Anstrengungen aufbürden, stehen wir in der Verantwortung, unseren Lebensraum mit ihnen zu teilen.

Sonsbeck, im März 2013